Univ.-Prof. Dr. med. Schäfers: „Die meisten Herzklappen-OPs sind längst Routine!“

21.03.2021
Leading Medicine Guide Redaktion
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Vier Herzklappen haben wir – und jede einzelne vollbringt bei Tag und bei Nacht enorme Leistungen. Wie Ventile regulieren diese Klappen durch Öffnen und Schließen den Blutfluss im Körper. Was aber, wenn eine dieser Klappen plötzlich den Dienst versagt oder auch nur schwächelt? Das macht sich gleich bemerkbar: Denn dadurch wird der Blutfluss beeinträchtigt, das Herz wird weniger leistungsfähig. Was kaum jemand weiß: Auch viele Neugeborene zählen zu den Patienten bei den rund 30.000 Herzklappen-Operationen, die allein in Deutschland Jahr für Jahr durchgeführt werden – und die Zahlen steigen. Leading Medicine Guide sprach mit Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schäfers über das Thema.
 
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Als Direktor der international renommierten Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäß-Chirurgie im Universitätsklinikum des Saarlandes ist Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schäfers genau der richtige Gesprächspartner zum Thema Herzklappen. Besonders kompliziert sind immer die Eingriffe bei Neugeborenen – und wenn ein Kind mit Herzklappenfehler auf die Welt kommt, braucht der operierende Facharzt besonders viel Fingerspitzengefühl. Prof. Schäfers ist bekannt dafür, die komplexesten Eingriffe mit Bravour zu meistern.

Leading Medicine Guide: Herr Professor Schäfers, Herzklappen-Operationen gehören in Ihrer Klinik zu den gängigsten Behandlungen. Wir haben das Gefühl, dass immer häufiger jüngere Patienten von einem Aortenklappenersatz betroffen sind. Täuschen wir uns?

Univ.-Prof. Dr. med Hans-Joachim Schäfers: Sie täuschen sich, denn der Aortenklappenersatz tritt bei Jüngeren gar nicht häufiger auf. Ihre Beobachtung basiert darauf, dass Herzklappen-Operationen gerade bei jüngeren Patienten immer aufmerksamer beobachtet und diskutiert werden.

Leading Medicine Guide: Und woran liegt das?

Univ.-Prof. Dr. med Hans-Joachim Schäfers: Das liegt daran, dass Jüngere heute weniger als früher dazu bereit sind, auf Dauer mit Medikamenten wie Marcumar zu leben. Macumar ist ein stark blutverdünnendes Arzneimittel, das zwar die Blutgerinnung verhindert, gleichzeitig aber auch Nebenwirkungen wie Blutergüsse oder Nasenbluten zeigt. Dazu kommt, dass heute zunehmend Alternativen wie die Rekonstruktion und die Ross-Operation eingesetzt werden, vor denen junge Menschen weniger Angst haben müssen als vor klassischen Herzoperationen noch vor zehn, zwanzig Jahren.

Leading Medicine Guide: Was dürfen wir uns unter einer Ross-Operation vorstellen?

Univ.-Prof. Dr. med Hans-Joachim Schäfers: Unter der Ross-Operation versteht man beispielsweise den Ersatz der erkrankten Aortenklappe durch die körpereigene gesunde Pulmonalklappe. Das ist die Herzklappe zwischen der rechten Herzkammer und der Lungenschlagader. In unserer Klinik gehört die Ross-Operation zu den Routine-Verfahren.

Klappe auf, Klappe zu: Hochleistungsventile

Leading Medicine Guide: Und wie gehen Sie bei der Rekonstruktion der eigenen Herzklappen vor?

Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schäfers: Die Rekonstruktion als Alternative zum Ersatz der Aortenklappe ist noch ein recht junges Verfahren. Dabei muss immer überprüft werden, welche Veränderungen an Aorta und Aortenklappe zur Undichtigkeit führen. So wird etwa bei einer Erweiterung der Aorta der betroffene Teil mit einem Stück Schlauch aus Kunststoffgewebe ersetzt. Dann wird die Aortenklappe an die neue Form angepasst. Für besondere angeborene Fehlbildungen entwickeln wir Strategien, um eine annähernd normale Konfiguration zu erreichen. In den letzten Jahren wurden schrittweise Rekonstruktionsverfahren entwickelt, die auch die Behandlung anderer Ursachen der Undichtigkeit ermöglichen. Wie am Ende genau vorgegangen wird, das wird mit den Patienten im Vorfeld besprochen. Auch wenn die letzte Entscheidung immer erst im Operationssaal fällt.

Biologischer Klappenersatz

Mehr als nur ein Ersatzteil: die Herzklappenprothese

Leading Medicine Guide: Es ist doch inzwischen möglich, künstliche Herzklappen via Katheter ins Herz zu bringen, oder?

Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schäfers: Genau. Und da dies schonender ist als eine offene Operation, kann diese Operationsmethode gerade bei älteren Patienten angewendet werden. Allerdings ist die Haltbarkeit von Katheterklappen leider auch heute noch immer unklar. Ich rate daher zum konventionellen Ersatz, wenn beim Patienten eine Lebenserwartung von mindestens noch zehn Jahren zu erwarten ist. Der Einsatz von künstlichen Herzklappen per Operation muss keine Angst machen: Dieser beinahe routinierte Eingriff unterliegt einem seit Jahrzehnten etabliertem Verfahren. Der Eingriff via Katheter ist vor allem für ältere Patienten schonender und muss auch nicht in Vollnarkose durchgeführt werden. Hier entscheiden die Kardiologie und die Herzchirurgie gemeinsam, was für den Patienten individuell am besten ist.

Leading Medicine Guide: Und wie gehen Sie bei angeborenen Herzklappenfehlern vor?

Univ.-Prof. Dr. med Hans-Joachim Schäfers: Es wird zwischen angeborenen und erworbenen Herzklappenfehlern unterschieden. Ungefähr eines von hundert Neugeborenen kommt mit einem Herzklappenfehler auf die Welt, was die Lebenserwartung werheblich reduzieren kann. Auch eine Aortenklappen-Schwäche kommt bei jüngeren Menschen vor, das ist in der Regel die Folge einer fehlerhaften Klappenanlage. Das junge Herz wächst noch mit den Jahren.

Leading Medicine Guide: Was passiert mit der eingesetzten Herzklappe? Muss der junge Patient in ein paar Jahren erneut unters Messer?

Univ.-Prof. Dr. med Hans-Joachim Schäfers: Typische Klappenprothesen wachsen nicht mit. Dies führt dazu, dass sie mit zunehmendem Wachstum des Körpers zu klein werden und dann ausgewechselt werden müssen. Diese Operation ist dann nicht immer trivial. Anders verhält sich das bei der schon erwähnten Ross-Operation und der Rekonstruktion: Danach wachsen die Klappen mit den Patienten. Wenn einem Kind in seinen jungen Jahren bereits eine Herzklappe eingesetzt werden muss, so gilt es, die verschiedenen Wachstumsphasen im Auge zu behalten. Die Körpergröße verdoppelt sich in den ersten drei Jahren, dann folgen rund sechs Zentimeter pro Lebensjahr bis zur Pubertät, wo nochmal ein größerer Wachstumsschub einsetzt. Allerdings befinden sich Herzklappen aus körpereigenen Zellen zurzeit noch im Versuchsstadium. Es ist noch nicht klar, ob sie wirklich mitwachsen und ausreichend lange halten. Sollte das so sein, wären diese Herzklappen gute Optionen, um permanente operative Eingriffe zu vermeiden. Einen Vorteil haben sie in jedem Fall: Sie werden nicht abgestoßen.

Professor Dr. Schäfers, wir danken Ihnen für die tiefen Einblicke in die erstaunliche Welt der Herzchirurgie und bedanken uns für das spannende Gespräch!

Haben Sie noch Fragen zum Thema? Dann besuchen Sie Prof. Schäfers auf dem Leading Medicine Guide! Hier haben Sie auch die Möglichkeit, den Herzklappen-Spezialisten direkt zu kontaktieren.

Mehr Informationen zum Thema Herzklappenrekonstruktion erhalten Sie außerdem hier.

Bildquellen: fotolia.com; psdesign1, me² medizin- und medien privatinstitut, Universität Homburg/Saar

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